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Zusammen gegen Antisemitismus

Konzept

Ist es notwendig, jüdisches Leben, bzw. jüdisch sein in Deutschland zu thematisieren?
Einerseits nicht, denn wir definieren uns nicht nur - wenn überhaupt - über unsere Religionszugehörigkeit oder unsere Herkunft. Und natürlich ist es in Deutschland durch unser Grundgesetz garantiert, jüdischen Glauben zu leben, ebenso wie christlichen, muslimischen oder den einer sonstigen Glaubensgemeinschaft.
Oder keiner Glaubensgemeinschaft anzugehören, säkular zu leben, letztendlich als Mensch unter Menschen in einer Gesellschaft zu leben, die sich humanitären Grundsätzen und Rechten verpflichtet hat. "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." (Artikel 4)

Andererseits stellt sich die Frage, ob jüdisches Leben (nicht zuletzt auf Grund der deutschen Geschichte) auch immer wieder der besonderen Aufmerksamkeit bedarf und unter verschiedenen Aspekten unfreiwillig ins Blickfeld öffentlichen Interesses gerät. So war unsere Gesellschaft nie (ganz) frei von antijüdischen Ressentiments. Antisemitische Anfeindungen und Taten haben in den letzten Jahren beständig zugenommen. Fast hat man den Eindruck, dass Antisemitismus in bestimmten Kreisen wieder gesellschaftsfähig geworden und längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Aus diesem Grund scheint es uns notwendig, sich immer wieder mit dem Thema „Antisemitismus“ auseinanderzusetzen –
nicht das jüdisch sein muss thematisiert werden, sondern der gesellschaftliche Umgang damit, der es immer wieder aus der Selbstverständlichkeit heraushebt.

 

Dies wird auch besonders deutlich nach dem terroristischen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023. Nach einem ersten Entsetzen über das Massaker der Hamaskämpfer, durch die ca. 1200 Menschen, die allermeisten Jüdinnen und Juden, ermordet, mehr als 5.400 Menschen verletzt und mehr als 240 Menschen als Geiseln verschleppt wurden, änderte sich die Stimmung in bestimmten, oft auch „linken“ Kreisen und auf Demonstrationen gegen die militärische Antwort Israels relativ schnell.
Aus Mitleid gegenüber den Opfern, der Empörung über den abscheulichen Terrorakt der Hamas, wurde in einer typischen Täter-Opfer-Umkehr das Massaker zum Befreiungskampf der Palästinenser gegen ein „kolonialistisches“ „Apartheidregime“ Israels umgedeutet und stilisiert.
Dem anfänglich zugestandenen Recht Israels auf Selbstverteidigung wurde relativ bald die Legitimität abgesprochen. Dies hat sicher auch mit der Härte des Vorgehens der israelischen Armee und den viel zu hohen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung des Gazastreifens zu tun, zeigt jedoch auch ein anderes Phänomen. Agiert Israel als jüdischer Staat mit dieser Härte – die durchaus diskussionswürdig und entschieden zu kritisieren ist – kommen mit dieser Kritik oder Verurteilung des staatlichen / militärischen Handelns auch antisemitische Haltungen zum Vorschein. Dies beschränkt sich jedoch nicht nur auf antisemitische Äußerungen gegenüber Israel, nein, auch Jüdinnen und Juden in Deutschland werden dafür verantwortlich gemacht und wieder offen auf der Straße, an Universitäten und Schulen bedroht und angegriffen.

Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) hat es seit dem 7. Oktober in Deutschland 2.249 antisemitisch motivierte Straftaten gegeben (Stand 25.1.2024). Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2023 wurden laut dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein 2.300 antisemitische Straftaten registriert.
Eine unglaublich hohe und in keiner Weise tolerierbare Zunahme, der sich eine Zivilgesellschaft entschieden entgegenstellen muss!

 

Um so wichtiger wird eine Projekt wie das hier vorgestellte:
Es gliedert sich in mehrere Teile und wird in Form einer Installation gezeigt. Im Mittelpunkt stehen Fotoportraits, die zusammen mit einem persönlichen Statement der jeweiligen Personen zum Thema Antisemitismus präsentiert werden. Die Fotos zeigen Menschen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft, die sich an unserem Projekt beteiligt haben, um gegen ein (scheinbar nie enden wollendes) Übel unserer (deutschen) Gesellschaft Stellung zu beziehen. Bewusst werden die Fotografien in „loser“ Mischung gezeigt. So soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es uns keinesfalls um Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen geht, sondern um Menschen, die Teil einer Gesellschaft sind - also nicht Jüdinnen und Juden in Deutschland, sondern deutsche Jüdinnen und Juden (evtl. auch - manchmal historisch bedingt - mit einem israelischen Pass), die so selbstverständlich in Deutschland leben wie der christliche oder säkulare und seit vielen Jahren auch der muslimische Teil unserer Bevölkerung.

In unserer Fotoserie zeigen wir bereits ganz bewusst ein Problem unserer Gesellschaft auf, das auch in den Auswertungen der Fragebogenaktion deutlich beschrieben wird. Manche der jüdischen Mitbürger*innen haben aus Furcht vor antisemitischen Anfeindungen (immer noch) ein ungutes Gefühl, sich offen zu ihrer jüdischen Herkunft zu bekennen, öffentlich leben sie mehr oder weniger „unsichtbar jüdisch“. Aus diesem Grund ließen sie sich bewusst nur von hinten oder im verdeckten Halbprofil fotografieren.
Andere wollen sich zwar in dem Projekt engagieren, jedoch nicht auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit oder ihres „jüdisch sein“ definiert und wahrgenommen werden, sondern als einfache Menschen unter Menschen in Deutschland leben.
In der Fotoserie greifen wir also ein Problem auf – es wird mitunter noch immer nicht als selbstverständlich erlebt, als Jüdin oder Jude in Deutschland zu leben.

 

Zur Fragebogenaktion

Parallel zur Erstellung der Fotoserie wurde eine Fragebogenaktion gestartet und Interviews durchgeführt - mit (nahezu) allen Porträtierten wurden ausführliche persönliche Gespräche zum Thema geführt. Dabei ging es u.a. auch um die Wahrnehmung und das Erleben antisemitischer Vorurteile und Anfeindungen in unserer Gesellschaft. Das Projekt entwickelt sich auf diese Weise auch hin zu einer Sensibilisierung der Beteiligten, sich mit diesem Thema (wieder) stärker zu befassen, aufmerksam zu werden.
Durch die Zusammenführung der unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen im Rahmen dieses Projekts wollen wir nun ein differenziertes (wenn auch auf Grund der Anzahl der Befragten nicht repräsentatives) Bild des Phänomens „Antisemitismus“ zeichnen und Gemeinsamkeiten aufzeigen. Jüdische und nichtjüdische Blickwinkel vereinigen sich zu einem gemeinsamen Statement – Zusammen gegen Antisemitismus!

Gleichzeitig werden durch die verschiedenen Themen, die in der Fragebogenaktion angesprochen werden, verschiedene Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland beleuchtet, in Vergangenheit und Gegenwart.

Wie auch in der Fotoserie gezeigt, ist es und wichtig zu thematisieren, wie Jüdinnen und Juden ihre persönlichen Erfahrungen einschätzen; führen sie ein „normales“, unauffälliges Leben, fühlen sie sich, bzw. sind sie in die deutsche Gesellschaft integriert? Ist es ihnen wichtig, sich zu ihrer jüdischen Herkunft und / oder Religion zu bekennen oder fühlen sie sich als (säkulare) Bürger*innen unter Bürger*innen?
Oder verbergen sie aus Sorge vor Übergriffen oder Anfeindungen ihre jüdische und / oder israelische Identität? Ist jüdisches Leben evtl. „Unsichtbar – in der Mitte der Gesellschaft?“

​Und ist Antisemitismus ein Phänomen unserer Gesellschaft, das wieder mehr und mehr sichtbar und in manchen Kreisen sogar als „gesellschaftsfähig“ empfunden wird? Die ständig zunehmenden verbale Anfeindungen und Taten gegen Jüdinnen und Juden zeigen bedauernswerter Weise eine eindeutige Tendenz in diese Richtung.

Und ist Antisemitismus eigentlich immer das Problem der anderen oder müssen wir uns immer wieder selbst hinterfragen? Auch dies wird in der Befragung der nichtjüdischen Teilnehmer*innen angesprochen; wo stehe ich, wie verhalte ich mich persönlich? Bin ich aufmerksam, wo und durch wen antisemitische Anfeindungen verbreitet werden? Habe ich Verantwortung, mich diesbezüglich und in dieser Gesellschaft in Bezug auf dieses Thema zu positionieren?
Aus diesen Gründen ist es umso wichtiger, Gesicht zu zeigen - gegen Antisemitismus!

Dieses Projekt ist auch als Fortsetzung einer Ausstellungsreihe zu jüdischem Leben in Deutschland zu sehen. Im Rahmen der Erinnerungskultur wurden nachfolgende Installationen gestaltet:

  • Tartaros – Installation zur Deportationsliste vom Dezember 1941 und der nachfolgenden Ermordung u.a. dieser Tübinger Jüdinnen und Juden in Riga (2017 im Stadtmuseum TÜ von Peter Krullis)

  • Heres – der Verlust der Menschlichkeit zu Deportation und Ermordung von Tübinger Jüdinnen und Juden im 3. Reich (2018 in der Kulturhalle TÜ von Peter Krullis und Lissi Maier-Rapaport)

  • die Erweiterung der Installation im Rahmen zur dokumentarischen Ausstellung zu Kurt Gerstein (2019 in der Glashalle des Landratsamtes Tübingen von Peter Krullis und Lissi Maier-Rapaport)
     

Unser aktuelles Projekt erweitert das Thema, lenkt es von der Erinnerungskultur in die Gegenwart und stellt die Frage, wie wir zusammen in der heutigen Gesellschaft antisemitischen Strömungen etwas entgegenstellen können und als freie demokratische Gesellschaft miteinander leben wollen.

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